Eine Schatzkiste zum Stöbern und Staunen - Christoph Schröter, Gerlind Jackowski und Bernhard Keck haben die Kirche von St. Nicolai ganz fest ins Herz geschlossen. Ab sofort führen sie wieder Besucher durchs Altenbrucher Gotteshaus. Sie wollen vor allem begeistern für Geschichte hinter dicken Mauern. Dass die drei auch Geschichten erzählen können, verleiht ihren Rundgängen zusätzlichen Reiz.
In ehrenamtlicher Mission stundenlang für Besucher da
Mit Beginn des Monats April beginnt in vielen Kirchengemeinden zwischen Cuxhaven und Hechthausen wieder die Saison der "Kirchenwächter". In ehrenamtlicher Mission stehen zumeist ältere Damen und Herren wieder viele Stunden lang in der Woche bereit und begrüßen Gäste aus nah und fern, wenn sie die Pforte durchschreiten.
Manfred Henze ist in St. Nicolai der Erste in diesem Jahr. Mit seiner Lebensgefährtin aus Lüdingworth will er sich mal umsehen in der tonnengewölbten Entdeckerkirche, deren Vielfalt auch per App auf dem Smartphone erkundet werden kann.
Der Premierengast aus Göttingen ist jedoch analog unterwegs. "Eindrucksvoll", sagt er, als ihn Bernhard Keck mit einem freundlichen Lächeln in Empfang nimmt, und herumführt durchs lichterfüllte Gotteshaus. Ein Ausflug mit erbaulichem Tiefgang.
"Ich vemittle gerne Wissenswertes rund ums altehrwürdige Gebäude"
"Viele Besucher sind überrascht von der Schönheit unserer Kirche und von den seltenen Ausstellungsstücken", weiß der "Kirchenwächter". Seit 2022 hat er dieses kommunikative Ehrenamt inne. „Ich vermittle gerne Wissenswertes rund ums altehrwürdige Gebäude und dessen Innenleben“, sagt der 70-Jährige und verweist unter anderem auf das „Gefängnis“ hinterm holzgeschnitzten Altar. Den vergitterten Verschlag konnten Bösewichte seinerzeit vorübergehend mit ihrer Zelle tausche, um den Gottesdiensten beizuwohnen. „Das war sehr christlich.“
Eva mit angebissenem Apfel in der Vorhölle
Aber damit ist Bernhard Keck noch nicht am Ende. „Schauen Sie mal auf den oberen Bereich des rechten Altarflügels“, sagt er, „da ist Christus zu sehen, wie er in der Vorhölle auf Eva trifft, die noch den angebissenen verbotenen Apfel aus dem Paradies in Händen hält.“ Wer ein wenig Zeit mitbringt, der wird feststellen, dass die Entdeckerkirche ihrem Namen in jedem Winkel alle Ehre macht.
Gerlind Jackowski – sie ist seit neun Jahren in St. Nicolai aktiv – will als überzeugte Christin „den Menschen die Kirche wieder näherbringen“. Sie habe große Freude daran, wenn sich Besucher – in der Regel Urlauber - von der Atmosphäre im Inneren des Gebäudes einfangen ließen und zur Ruhe kämen, erzählt die 81-Jährige.
Mit geschlossenen Augen ganz still in der Kirchenbank
Dabei ist der rührigen "Kirchenwächterin" eine Dame aus dem Ruhrgebiet lebhaft in Erinnerung geblieben. „Die Frau saß mit geschlossenen Augen in der Bank und lauschte lange den Orgelklängen der Entdeckerkirchen-App.“ Ganz still. Beinahe andächtig. „Mir ist es wichtig, dass solche Momente bei Kirchenbesuchen möglich sind“, sagt Jackowski.
Sichtbare Einzelpfeifen mit Eiweiß von Enteneiern foliiert
Christoph Schröter, mit 88 Jahren ältester "Kirchenwächter" im zwölfköpfigen Team von St. Nicolai, ist auch an diesem Nachmittag mit von der Partie. Über die Orgel - 1730 von Johann Hinrich Klapmeyer erbaut - wisse er ganz viel zu erzählen. „Mein Vater war zuletzt Organist in Bützfleth, drüben im Landkreis Stade“, lässt Schröter wie beiläufig fallen. Deshalb habe er einiges an Fachwissen mitbekommen. „Oder wussten Sie, dass die sichtbaren Einzelpfeifen seinerzeit noch mit dem Eiweiß von Enteneiern foliiert worden sind?“
Als ehemaliger Pädagoge von der "Lehrerkrankheit" befallen
Schröter ist "Kirchenwächter" mit Leib und Seele, gehört auf diese Weise gern zur Gemeinschaft. Außerdem gibt er - mit einem Augenzwinkern - gerne zu, „dass ich als ehemaliger Pädagoge von der ,Lehrerkrankheit‘ befallen bin und den Leuten alles erklären möchte, was ich über die Kirche weiß“. Spricht’s, schmunzelt und macht sich auf zum bronzenen Taufkessel aus dem frühen 14. Jahrhundert – dem ältesten Ausstellungsstück. „Früher wurde das Wasser hier mit Feuerholz erwärmt, damit die Täuflinge nicht erschraken“, sagt Schröter.
Spiegelverkehrte lateinische Buchstaben am Beckenrand
„Wer in diesem Brunnen getauft wird, wird gereinigt“, steht in lateinischen Lettern spiegelverkehrt auf dem Rand zu lesen. Derlei „Reinigungen“ gibt’s heutzutage nur noch mit Wasser aus dem Taufbecken – wohlig temperiert und behutsam dosiert.
Vorbei geht’s an diesem Nachmittag an vielen Sehenswürdigkeiten, auch an der hölzernen Beichtkammer, die da in der Südwestecke des Chores steht. „Bis etwa 1840 war im Land Hadeln noch die Einzelbeichte üblich“, weiß Bernhard Keck zu berichten. Doch diese Zeiten sind vorbei.
Heute wird dieser kleine Raum als Sakristei genutzt. „Hier kann sich der Pastor in aller Seelenruhe umziehen und auf seinen Gottesdienst vorbereiten.“
Nach beeindruckendem Rundgang geht's erst einmal an die Sonne
Auf dem Rückweg ihrer Runde begegnen die drei "Kirchenwächter" wieder dem Premierengast aus Göttingen. Manfred Henz zeigt sich schwer beeindruckt von dem, was er in St. Nicolai gesehen, gehört und gelesen hat. Nach so viel Kirchenkultur geht’s erstmal hinaus ins Freie, mit der Lebensgefährtin die Sonne genießen.
Die drei Kirchenwächter bleiben zurück. Der nächste Gast kommt bestimmt. Bernhard Keck: „Wir freuen uns schon drauf.“